Mangas werden immer populärer. Wurde man vor zehn Jahren noch schräg angesehen, wenn man an der Bushaltestelle Mangas las, produzieren heute Netflix und Amazon ihre eignen animierten Mangas (Animes). Und trotzdem hält sich hartnäckig das Vorurteil, dass Mangas nur was für Kinder sind. Wieso eigentlich? Ich bin der Meinung: Auch Erwachsene sollten Mangas lesen. 

Fast jeder Erwachsene liebt die alten Disney-Filme. Doch wenn ich sage, dass ich Mangas lese, bekomme ich oft zu hören: „Mangas? Sind das nicht die gezeichneten Figuren mit den großen Augen?“ Bambi lässt grüßen.

Mangas: Mädchen mit großen Augen, Schuluniform und großen Brüsten. Ein Vorurteil, dass sich hartnäckig hält. Wieso eigentlich? Ich kenne kaum ein Kind, das nicht mit Heidi aufgewachsen ist und die Serie auch heute noch in guter Erinnerung hat. Heidi, Heidi, deine Welt sind die Berge, Heidi, Heidi, gezeichnet und produziert wurdest du in Japan. Heidi, Heidi, du bist ein Anime.

Heidi wurde unter anderem von dem heutigen Oscar-Preisträger Hayao Miyazaki gezeichnet, dessen Filme auch in Deutschland Berühmtheit erlangten als „Chihiros Reise ins Zauberland“ 2001 den Oscar für den besten animierten Spielfilm gewann. Danach folgten weitere Veröffentlichungen in Deutschland: Prinzessin Mononoke, Mein Nachbar Totoro, das wandelnde Schloss… um nur ein paar zu nennen. Die Filme des Oscar-Preisträgers sind lebensbejahend, richten sich gegen Krieg, Umweltverschmutzung, Hass und Fremdenfeindlichkeit. Eine Botschaft, die jeder hören und sehen sollte.

Auch außerhalb der großen Leinwand haben Mangas viel zu bieten. Hier finden sich fast genauso viele Mangas für Erwachsene wie für Kinder. Mein liebstes Beispiel sind die Geschichten von Jiro Taniguchi. Seine Geschichten drehen sich oft um das alltägliche Leben von Arbeitnehmern in japanischen Großstädten. Oder um Familiengeschichten im Nachkriegsjapan. Seine Geschichten sind ruhig, langsam und sehr nachdenklich. Oder wie die damals 10-jährige Schwester meiner besten Freundin sagte: „Boah, ist das langweilig!“ Manche Mangas richten sich eben doch nicht an Kinder.

Mobbing, die erste große Liebe, Tod, Umweltverschmutzung, Coming-Out, Adoption, Anti-Kriegs Geschichten, Warnungen vor einer zunehmenden Technisierung unserer Gesellschaft, der erste eigene Roman, Kurzgeschichten aus einem Café… von Feel-Good Geschichten bis zu einem düsteren Blick in die menschliche Seele ist für jeden Erwachsenen etwas dabei.

Doch wo anfangen? Die Masse an Mangas ist kaum überblickbar und wächst jeden Tag weiter an. Ich stelle hier drei Mangas vor, die ein guter Einstieg für Erwachsene in die Welt der Mangas sind.

Yotsuba&!

Wer Disney-Geschichten mag, wird diesen Manga lieben. Die kleine Yotsuba zieht mit ihrem alleinerziehenden Vater vom Dorf in den Vorort einer japanischen Großstadt und mischt dort das Leben ihrer Nachbarn mit immer wieder wundervollen Ideen auf. Jedes Kapitel umfasst ein neues Abenteuer von Yotsuba. Yotsuba & einkaufen, Yotsuba & Pancakes backen, Yotsuba & schaukeln… Für Kinder ist der Manga ein kurzweiliger Spaß mit lustigen Geschichten. Für Erwachsene sind es Geschichten, die uns daran erinnern, die Magie und das Abenteuer in den alltäglichsten Dingen zu sehen. Steine sammeln, im warmen Sommerregen tanzen, den ersten Schulranzen kaufen, in der Nachbarschaft spazieren gehen. Während die ersten Mangas noch sehr fröhlich sind, kommen die neusten Bände immer nachdenklicher daher und rühren einen oft zu Tränen. Oder wie Yotsubas Vater sagt: „Ich habe noch nie einen Menschen getroffen, der wirklich allem etwas Positives abgewinnen kann.“ Vielleicht sollten wir das auch wieder öfters probieren.

Der Mann meines Bruders

Der Manga schlägt ähnliche Töne wie Yotsuba&! an, dreht sich aber um die Vorurteile, denen schwule Männer in der japanischen Gesellschaft immer noch ausgesetzt sind.

Vor Jahren zog der Zwillingsbruder des alleinerziehenden Vaters Yaichi nach Kanada, um dort seine große Liebe, den Kanadier Mike, zu heiraten. Nachdem Yaichis Zwillingsbruder im Ausland stirbt, kommt sein Ehemann Mike nach Japan und nistet sich in Yaichis Haus ein. Schon optisch fällt Mike in Japan auf: groß, rothaarig, breitschultrig, behaart wie ein Bär… und schwul. Yaichi muss anfangen, sich seinen Vorurteilen zu stellen.

Statt um offensichtliche Homophobie geht es in dem Manga um die kleinen alltäglichen Vorurteile. Yaichi hat ein unangenehmes Gefühl, wenn er von Mike umarmt wird, will seine kleine Tochter ungerne mit Mike alleine lassen, zieht sich nach dem duschen lieber ein T-Shirt über statt – wie sonst üblich – Oberkörperfrei durch die Wohnung zu gehen: „Mike ist ja schließlich schwul.“ Doch das enge Zusammenleben baut nach und nach die Vorurteile ab, bis Yaichi eines Tages einen Nachbarsjungen kennenlernt, der sich nur Mike gegenüber traut, sich als schwul zu outen. Und Yaichi muss sich fragen: „Was, wenn meine Tochter eines Tages eine Frau liebt? Wie werde ich reagieren? Möchte ich, dass sie so eine Angst vor meiner Reaktion hat, dass sie sich nur gegenüber einem völlig Fremden outet?“

Ein wunderschöner Manga, der dem Leser mehr als nur einmal den Spiegel vorhält, Vorurteile hinterfragt und gleichzeitig zeigt, dass man sich erlauben muss zu trauern und sich selbst zu vergeben.

No. 6

Der Manga „No. 6“ ist sowohl eine Mystery-Geschichte als auch (Klima-)Thriller. Nach einem großen Krieg sind nur noch sechs Städte übrig. Shion lebt in der sechsten Stadt (daher auch der Name des Mangas). Die Stadt ist sicher, sauber und es gibt keine Kriminalität. Da Shion besonders intelligent ist, darf er im inneren Kreis der Stadt wohnen. Seine Mutter muss nicht arbeiten, die Schule, Essen und alles andere wird ihm bezahlt. Das ändert sich, als er an seinem zwölften Geburtstag dem jungen flüchtigen Nezumi Unterschlupf gewährt. Was Shion erst danach erfährt: Nezumi kommt von außerhalb der Stadt und gilt als Verbrecher. Zur Strafe muss er an den Stadtrand ziehen und nimmt mehrere Jobs an, um über die Runden zu kommen. Vier Jahre später wird er des Mordes beschuldigt. Im letzten Moment taucht Nezumi auf, rettet ihn und flieht mit ihm aus der Stadt. Von da an müssen die beiden sich zusammen durchschlagen und decken dabei nach und nach eine Verschwörung der Regierung auf.

Der Manga ist unglaublich eindringlich. Umweltzerstörung, Fremdenfeindlichkeit und politische Verschwörungen werden hier zu einem immer dichteren Netz verwoben. Nach Band vier kippt die Stimmung und es schleichen sich immer mehr Thriller-Elemente ein. Wer also kein Blut sehen kann, für den ist das Manga nicht das Richtige. Trotzdem ist er eine klare Leseempfehlung, da viele wichtige Themen aufgegriffen werden und der Manga einen atemlos und etwas melancholisch zurücklässt.

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